Morgen ist Heiligabend
Übervolle Tage liegen hinter mir, ich komme aus dem Büro und muss jetzt, 17 Uhr tatsächlich noch etwas einkaufen. Genervt laufe ich durch den Markt. Da klingelt mein Handy. Ach ja, Bereitschaft habe ich über die Weihnachtstage auch noch.
„Meine Frau verhungert“,
höre ich, „ich kann sie doch nicht einfach so liegen lassen, können sie nicht etwas unternehmen?“ Die Stimme kenne ich. Sie gehört zu einem Mann, der seine sterbenskranke Frau zu Hause pflegt. Wir hatten gelegentlich Kontakt, eine ehrenamtliche Hospizhelferin besucht seit ein paar Wochen seine Frau. Wie soll ich einem besorgten Ehemann am Telefon, zwischen hastenden Menschen mit überquellenden Einkaufswagen erklären, dass seine Frau nichts mehr zu sich nimmt, weil ihr Körper es nicht mehr braucht?
Also klingle ich eine halbe Stunde später an der Wohnungstür. Erleichtert werde ich in Empfang genommen. Die Frau liegt im Wohnzimmer im Pflegebett. Sie schwitzt, sie atmet mit offenem Mund, sie reagiert nicht auf meine Ansprache. In den folgenden Minuten erkläre ich dem Mann, dass ich seine Frau als sterbend wahrnehme. Ihre Lebenszeit ist sehr begrenzt, wie sehr - Stunden oder Tage, kann ich nicht einschätzen.
„Und was nun? Ich habe das noch nie erlebt.“
Ich erkläre ihm einfache Dinge der Pflege- Waschung mit Pfefferminztee gegen das Schwitzen, Befeuchten der Mundschleimhaut mit ihrem Lieblingsgetränk gegen das Durstgefühl, Lippenpflege mit Butter und Honig. Und vor allem erkläre ich, dass seine Frau nicht stirbt, weil sie nichts mehr isst, sondern nichts mehr isst, weil sie stirbt. Mit Tränen in den Augen, für die er sich entschuldigt, hört er zu. Wir schweigen. Und dann kann er etwas tun – kocht Tee, füllt die von mir mitgebrachte Sprühflasche … fühlt sich nicht mehr hilflos.
„Sie hat der liebe Gott geschickt - genau zur richtigen Zeit!“
Nun ja, mit der richtigen Zeit habe ich vorhin noch gehadert, aber jetzt finde ich es auch in Ordnung. Am Vormittag des Weihnachtstages kam der Anruf, dass seine Frau gestorben ist. Er erzählt wie es war, was er noch für sie tun konnte. Ich höre zu.
Angela Breitfeld